Ein dunkles Kapitel in der Geschichte. Ach ja, wie gerne würde man das vergessen wollen, nicht wahr? Man schreibt viel lieber über schöne Dinge oder ganz unverfängliche historische Begebenheiten.
Mir brennt etwas auf den Nägeln. Gerade jetzt.
Manchmal komme ich in Leipzig in der Georg-Schwarz-Sraße an einem feinen Buchantiquariat vorbei. Im Schaufenster sah ich ein Buch, welches mich sehr interessierte, „Alma Mater Lipsiensis – Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig“. Den Namen trägt die Universität schon lange nicht mehr, aber manche Dinge sind halt wie sie sind. Man kann sie nachlesen. Ich habe von zu Hause aus im Antiquariat angerufen. Man hat mir das Buch zurückkgelegt bis ich mal wieder in der Georg-Schwarz-Straße war. (Herzlichen Dank an dieser Stelle.)
Noch immer lese ich Victor Klemperers Tagebücher. Das, was ich lese, macht mich so betroffen, dass ich die Bücher öfter weglegen muss, vor allem deshalb, weil man ja weiß, wie die Geschichte ausgegangen ist und weil das, was Klemperer oft Herzbeschwerden verursachte, im Laufe der Zeit noch viel schlimmer wurde.
9.Oktober 1936
Am Vormittag in der Bibliothek teilte man mir schonend mit, dass ich als Nichtarier den Lesesaal nicht mehr betreten dürfe. Man wollte mir alles nach Hause oder in den Katalogsaal geben, aber für den Leesesaal sei ein offizielles Verbot erlassen.
(Victor Klemperer, Tagebücher 1935-1936, Aufbau Taschenbuch Verlag Berlin, S.141)
Klemperer war Professor an der TU in Dresden, jahrelang geachtet, bis er seine Entlassung als Nichtarier bekam. Stück für Stück ging die Ausgrenzung weiter, die Repressialien, die ständig zunahmen. Einer, der sich in diesen Angelegenheiten besonders hervortat, war Reichsstatthalter Mutschmann. Und der hinterließ seine Spuren auch an der Leipziger Universität.
Die Fachschaft Universität der NSDAP und die Hochschulgruppe Universität Leipzig des NSDStB haben entsprechend der Anordnung der Reichsleitung … ein Aktionskomitee zur praktischen Durchführung des Boykotts gegen die Juden gebildet. …
Das Aktionsbündnis fordert, dass Juden der Zutritt zur Mensa und allen anderen Einrichtungen der Studentenschaft und Wirtschaftshilfe untersagt wird, die Freitische ihnen entzogen und die Stipendien und Beihilfen gesperrt werden.(Alma Mater Lipsiensis – Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Edition Leipzig, 1984, S.263)
Ein Mutchmann hätte nie viel ausrichten können. Er hatte Erfüllungsgehilfen, auch an den Universitäten, und eine schweigende, sich duckende Masse. Damit es nicht zu Unruhen unter den Studenten kam, wurde ein „Sicherheitsdienst der Studentenstürme“ eingerichtet.
Es gab keine Unruhen.
Die Universität veränderte sich. Romanistik z.B. wurde abgebaut. Man brauchte es nicht, schließlich sollte am deutschen Wesen die Welt genesen. Dafür gab es neue Pflichtfächer, Rassenkunde zum Beispiel.
Es hat mich vor einigen Tagen sehr erschreckt, dass eine Gymnasiastin kurz vor dem Abitur nicht wusste, was die Rassengesetze des dritten Reiche beinhaltet haben. Der Geschichtsunterricht hatte offensichtlich keine Aufklärung gebracht. Um so wichtiger sind halt dann Gespräche. Wie sollen denn sonst die Reden eines Björn Höcke bewertet werden?
Mich macht recht betroffen, dass es damals eben nicht nur die waren, die die Wissenschaft nicht erfunden haben und kaum ein Komma richtig setzen konnten, die ein dunkles Kapitel auch an den Universitäten und Hochschulen förderten. Es waren auch Leute mit Hochschulbildung und eben jene schweigende Masse.
Und heute?
Ich denke man sollte genau lesen und hinhören, was manch einer so von sich gibt. Nichts bricht plötzlich über uns herein wie eine Naturkatastrophe. Manches kommt in Nadelstreifen.
Einer alleine ändert gar nichts und hält auch keine ungesunde Entwicklung auf. Man kann aber Netzwerke bilden, wenn man kompromissbereit ist und solche Worte findet, die allgemeine Akzeptanz finden.
Ich möchte nie wieder ein dunkles Kapitel. Andere auch nicht.
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