
Meine Vorlesungen für diese Woche habe ich gehört. Ich muss sagen, dass nur eine halbe Stunde bei den beiden Germanisten jede Menge historische Erkenntnisse bringen. Ich dachte immer, dass Germanistik nur Hardcore-Grammatik ist und reine Sprachtechnik. Aber ich habe mich geirrt. Es ist mehr. Will man eine Sprache verstehen, dann muss man sich mit ihrer Geschichte befassen , die nicht losgelöst ist vom großen Geschehen drumherum.
Ich bin gerne in der Uni. Manchmal möchte ich noch mal jung sein, aber meistens reicht es mir, mit jungen Menschen zusammenzusitzen. Es ist wie eine Insel, in der man seinen Kopf fordern und neues Wissen aufnehmen kann. Angenehm ist es zu wissen, dass das Hirn nie zu alt, sogar recht dankbar dafür ist. Es ist aber auch eine Insel, mich von dem vielen Dreck und Hass, über den ich gerade immer so stolpern muss, zu erholen. Ich hoffe sehr, dass an diesem Ort der Freigeist, des Disputes und der Ideenentwicklung erhalten bleibt. Mit diesem Wunsch bin ich zum Glück nicht alleine.
„Ach, da passiert schon nichts. Du bist zu pessimistisch.“
Das wird mir oft gesagt, im Bekanntenkreis. Mir ist aber aufgefallen, dass manche regelrecht darauf warten, dass irgendetwas passiert, weil man das dann ganz eifrig nutzen kann, um seine „deutschnationalen“ Interessen zu betonen. Da geht es scheinbar nur um den Schutz der Sprache, um Schutz der Kultur. Und selbst bei den Frauenrechten kommen jetzt die gekrochen als eifrigste Vetreter der Frauenrechte, die noch vor nicht allzulanger Zeit gegen das Gesetz gestimmt haben, welches Vergewaltigung in der Ehe ahnden soll. Das macht mir viel mehr Angst, als der Mob montags auf den Straßen.
Manch einer, der bisher nicht allzuviel zu sagen hatte, fühlt sich plötzlich stark und wittert Anerkennung, die er sich vielleicht unter anderen Umständen erst hart erarbeiten müsste.
Ich lese immer noch Victor Klemperers Tagebücher. Mit Unterbrechung, denn manchmal ertrage ich es nicht. Klemperer beschreibt, wie sich seine Hochschule innerhalb weniger Monate im Jahre 1933 veränderte.
19. August, Sonnabend
Am 13.8. war Annemarie bei uns. Sie erzählte verschämt (Annemarie verschämt!), ein Kollege mit Hakenkreuzbinde habe ihr gesagt: „Was soll man machen? Das ist wie die Cameliabinde für Damen, sehr peinlich und nicht zu umgehen.“
Victor Klemperer, Tagebücher 1933 – 1934, Aufbau TaschenverlagGmbH, Berlin, S.48
PS, Nachtrag oder wie auch immer zum „Freigeist“:
Ja, ich habe auch Ängste, Angst davor, dass sich unsere Gesellschaft nicht zum Besten verändert. Und, ja, ich bin auf der Suche nach Verbündeten, einmal diese Angst nicht beherrschend werden zu lassen und zum Zweiten daran zu arbeiten, dass wir eben kein „Kaltland“ werden. Hass, Gewalt, Terror, Menschenverachtung, rechte Ideen jeder Art bringen keine Lösungen.
Alleine zu wuseln, ist nicht gut.
Der Beitrag Freigeist, Frauenrechte, Populismus. Das Ende einer Woche. erschien zuerst auf Spinnradgeschichten.