Flucht?
Es gibt Geschichten, die lassen einen nicht wieder los. Sie wirbeln die Gefühle durcheinander, dringen in die Gedanken ein, lassen Ohnmacht fühlbar werden und tun manchmal auch weh.
Wenn ich die Kiepe packe, weil ich mit der Handspindel und dem Spinnrad unterwegs sein werde, überlege ich mir auch immer die Spinnradgeschichten, die ich dann erzähle. Und manchmal, so wie gestern, wird auch mir eine Geschichte erzählt.
In der Scheune in Wyhra setzte sich eine Frau zu mir. Sie lächelte, hatte ein freundliches Gesicht und schaute mir beim Spinnen zu.
„Ich kann auch spinnen“, sagte sie leise. „Bei uns können das alle Familienmitglieder.“
Und dann erzählte sie mir ihre Geschichte.
In einer Nacht- und Nebelaktion mussten kleine Geschwister mit ihrer Mutter nach 1946 Ungarn verlassen. Eine junge Frau und kleine Kinder machten sich auf den weiten Weg in eine völlig neue Umgebung, in die Ungewissheit. Kalt war es, Winter eben. Die Kinder froren und hatten Angst. Die junge Frau war selbst am Ende ihrer Kräfte und trotzdem tröstete sie ihre Kinder so gut es ging. Alles würde irgendwann wieder gut werden.
Gegen jeden Widerstand und alle Einwände hatte die junge Frau darauf bestanden, ihr Spinnrad mit zu nehmen auf die erzwungene Flucht. In Deutschland sollte es ihr gute Dienste leisten können.
Und so kam es auch. Mit dem Wollespinnen verdiente sich die junge Frau Essen für sich und die Kinder und hielt so die kleine Familie am Leben.
„Das Spinnrad gibt es noch.“, sagte die Frau. „Es spinnt einen feinen Faden.“
Ich habe ihr versprochen, dass ich die Geschichte von Flucht, Vertreibung und dem Spinnrad weiter erzähle. Kriege bringen Ungerechtigkeiten und Leid mit sich, immer und immer wieder.
Ich werde keinen je akzeptieren.
Der ungerechteste Frieden ist immer noch besser als der gerechteste Krieg.
– Marcus Tullius Cicero –
Der Beitrag Flucht, Vertreibung und ein Spinnrad. erschien zuerst auf Spinnradgeschichten.