Ich werde nicht jeden Pups aufschreiben aus und zu den Vorlesungen, die ich gerade besuche. Heute beschäftigt es mich allerdings so sehr, dass ich es tun muss.
Ich habe mich nämlich lange nicht mehr so zufrieden gefühlt.
Da bin ich also mitten im Oktober durch dicke, fette Schneeflocken zur Uni geflitzt. Winter oder so etwas wollte ich eigentlich noch nicht haben, aber irgendwie ist es auch egal, was draußen passiert, wenn man im Hörsaal hockt und Vorlesungen lauscht. Vorgelesen hat übrigens keiner.
Es war einiges vertraut, wie anno dunnemals: raus aus der Straßenbahn, in einer Menschentraube zur Uni hetzen, schnell noch mal auf’s Klo, Hörsaal suchen, hinsetzen.
Die erste meiner Vorlesungen fängt an und ich staunte nicht schlecht. Ich bekam eine Einführung in das Alte Testament. Da hatte ich Schussel doch die Tage meiner beiden Vorlesungen vertauscht, meine war erst am Nachmittag. Gut, nun war ich einmal da und blieb es auch. Christ werde ich nun nicht, aber es war interessant. Mit Sprachgeschichte hatte es schließlich auch ein wenig zu tun.
Am Nachmittag wollte ich schon schwänzen, bin aber dann doch wieder zur Uni gefahren. Die Vorlesung über die Sangspruchdichtung war nicht nur interessant und spannend, sie zu hören war ein Vergnügen. Gut, dass ich nicht geschwänzt habe. Mir wäre viel entgangen, auch die Erkenntnis, dass Vorlesungen nicht furztrocken und unlustig sein müssen.
An meinem zweiten Vorlesungstag war ich dann in der nunmehr richtigen Vorlesung: Geschichte der deutschen Sprache und Einführung in die ältere deutsche Literatur. Mein jüngstes Kind hat mir das Lehrbuch von Professor Schmid geschenkt. Nun saß ich in seiner Vorlesung.
Der Hörsaal war knackend voll und ca. 30 Personen fanden keinen Platz mehr. Manche Professoren sollen ja immer zu Beginn der Lehrveranstaltungen im Semester sagen: „Schauen Sie sich ihre Nachbarn zur Linken und Rechten ruhig mal an. Manchen sehen Sie nie wieder.“
Es wird sich alles richten, aber ich werde in der nächsten Woche der Vorsicht halber eine Bahn eher fahren, denn jetzt will ich unbedingt viel darüber wissen, wie sich unsere Sprache entwickelt hat. Endlich etwas, was ich wirklich wissen will und nicht mal schnell wissen muss. Für das nächste Leben kenne ich mein Studienfach und jetzt wächst ganz langsam eine Ahnung, was ich mit meinem neuen Wissen anfangen könnte. Ich lasse der Ahnung Zeit.
Der Regen auf dem Rückweg hat mir nichts ausgemacht. Ich habe mich lange nicht mehr so wohl gefühlt, wie in dieser Woche. Müde war ich schon, aber zufrieden. Meine Denke muss eben immer etwas zu verarbeiten haben, muss gefordert werden. Das lässt auch mal die stupiden, aufgezwängten Arbeiten der letzten Jahren vergessen, von denen nicht mehr blieb als ein Appel und ein Ei und bei denen ich mich so jämmerlich schlecht gefühlt habe.
Ich glaube, ich habe noch in der Straßenbahn vor mich hin gelächelt. Mir taten plötzlich alle leid, die mit mürrischer Miene und zusammengepressten Lippen da hockten.
Der Beitrag Erste Vorlesungen an der Uni nach ganz langer Zeit. erschien zuerst auf Spinnradgeschichten.